Vom glücklichsten Menschen der Welt zum bisher härtesten Schritt meines Lebens

03April2020

Heute gibt es von einer 180-Grad-Wendung der Dinge zu berichten, also holt euch ruhig erstmal einen Kaffee, denn das hier wird sicher ein halbes Buch. Aber nun lasst mich erstmal mit dem Positiven anfangen:

Mitte Februar machte ich mich mit den 22 restlichen Freiwilligen auf den Weg zu unserem Zwischenseminar an die Wild Coast – Wahnsinn, es war Halbzeit!
Und so verbrachten wir gemeinsam mit unseren Mentoren eine wunderschöne Woche und ich habe es sehr genossen mich mit allen mal wieder so richtig austauschen zu können.  1 Woche einfach mal ohne Handy, dafür mit ganz vielen Gesprächen mit tollen Menschen und ganz viel Zeit zum Nachdenken und Abschalten.
Gestartet haben wir für 2 Tage an einem meiner Lieblingsorte auf der großen weiten Welt: Bulungula😀. Neben vielen Schwimmsessions am einsamen Strand (okay, ein paar Kühe waren mit anwesend😉) und einem traumhaften Pancake-Sunrise-Frühstück bestand unser Seminar erstmal daraus, dass jeder ein wenig von den vergangenen 6 Monaten berichtet und das Gesamtfazit war zur Überraschung unserer Mentoren (verglichen mit vorherigen Jahrgängen) extrem positiv: Alles supi, alle happy, so kann es weitergehen! 😎
Nach 2 Tagen in Bulungula machten wir uns dann zu Fuß bei perfektem Wetter mit unserem Gepäck auf den Weg Richtung Coffee Bay. Dieses Mal allerdings nicht an einem Stück, sondern mit 2 Übernachtungen in traditionellen Xhosa-Dörfern. Das 1. Dorf war echt wie ein kleines Luxushotel im Busch:  Unser Abendessen genossen wir am Feuer mit Blick auf einen Sternenhimmel der Extraklasse: So viele Sterne (inklusive der gesamten Milchstraße) hat niemand von uns jemals zuvor gesehen – einfach nur der absolute Wahnsinn. Und so beschlossen ich und ein paar weitere Freiwillige spontan die Nacht einfach mal unter freiem Himmel zu verbringen- definitiv die beste Entscheidung dieser Woche 😮. Weiter ging es ins 2. und letzte Dorf, wo die Welt schon etwas anders aussah: Gewaschen wurde sich mit einer kleinen Wasserschüssel, das Plumpsklo wurde im besten Fall vermieden und geschlafen wurde zu fünfzehnt in einer kleinen Rundhütte – Willkommen im „wahren“ Südafrika – Ich liebe es diese Erfahrungen machen zu dürfen! Die letzten 2 Tage verbrachten wir dann (bei leider sehr schlechtem Wetter) in einem Hipster-Backpacker in Coffee Bay, wo wir dann viel über unsere Ziele und Erwartungen für die restliche Zeit sprachen. All in all: Ein klasse Seminar mit perfektem Mix aus freien Gesprächen und richtigen Seminarsessions. Ein riesiges DANKESCHÖN an unsere Mentoren Jonas und Thomas!

 

Doch für mich war hier noch nicht Schluss, denn es ging mit meinen 3 Mädels weiter für eine Woche in die traumhafte Landschaft der Drakensberge. Mit einer Wanderung auf das Amphitheater erklommen wir zugleich Afrikas höchsten Wasserfall bzw. den zweithöchsten Wasserfall der Welt- die „Tugela Falls“. Der Abstieg gestaltete sich mit einer 30 m hohen Kettenleiter ohne jegliche Sicherung als sehr abenteuerlich (insbesondere mit den ziemlich schweren Rucksäcken) – in Deutschland wäre das tausendmal als Klettersteig gekennzeichnet worden und die Warnschilder wären nicht zu übersehen gewesen, aber hey: That‘s Africa and I love it! 😀
Nach 3 Tagen ging es dann mit einem Zwischenstopp beim Ziplining weiter zur Grenze nach Lesotho in die Sani-Lodge, wo wir den Urlaub mit ein bisschen Wein am Pool ausklingen ließen. In unsere Rückreise bauten wir auch noch eine Zwischenübernachtung in der coolen Mdumbi Backpacker Lodge ein (Die Straße dahin war auch sehr aufregend – armes Mietauto😫), da wir keine 14 h am Stück zurück nach Hause fahren wollten.

 Ziplinig :)

Und so schnell waren 2 Wochen schon wieder vorbei. 2 Wochen ohne viel Handy-Netz, in denen man perfekt dem Alltag entfliehen konnte, 2 Wochen mit den wohl schönsten Orten der Welt und 2 Wochen, in denen ich sehr viel über mich selbst lernen konnte!

Nach 2 Wochen Urlaub war ich dann aber auch sehr glücklich mal wieder zurück auf Arbeit zu sein und alle wiederzusehen. Doch diese Freude hielt nicht lange an, denn dann kam COVID-19. Tagtäglich habe ich jede Sekunde auf dem Handy mit ansehen müssen, wie sich die Lage weltweit immer mehr zuspitzt und dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt nur noch einen Gedanken im Kopf: Hoffentlich kann meine Familie Anfang April zu mir fliegen😮.
Am Samstag dem 14.03. fuhr ich noch zu meinem ersten Volleyballturnier in Südafrika, ohne auch nur zu ahnen, dass meine Welt ab dem nächsten Tag total Kopf stehen wird und ich wohl so schnell nie wieder mit meinen Mädels auf dem Feld stehen werde (Ein südafrikanisches Volleyballturnier ist echt eine Nummer für sich: Gesang vom Publikum ohne Ende, nach jedem Punkt einen neuen Teamspruch schreien, sodass meine Stimme am Ende des Tages nicht mehr vorhanden war – Ich liebe es🙂).  
Und dann war es soweit: Mit fast 2 h Verspätung hielt der südafrikanische Präsident Ramaphosa am Sonntagabend eine Ansprache an die Nation. Das Wort „travel ban“ hat ausgereicht, dass ich in meiner Küche sofort in Tränen ausgebrochen bin, denn das wars mit dem großen Traum endlich meiner Familie zeigen zu können, was ich mir hier aufgebaut habe und was mich an diesem Land so begeistert😢. Aber hey: #staypositive Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!


Doch das war nicht alles: Ab Mittwoch sollten alle Schulen landesweit für einen Monat geschlossen werden, was auch die Schließung meiner Arbeitsstelle und damit Homeoffice bedeutet. So schön so gut, das war alles noch kein Weltuntergang und die nächsten 2 Tage ging es für mich auch ganz normal auf Arbeit: Der kommende Monat Homeoffice wurde geplant und an einen möglichen Rückflug wurde eigentlich noch gar nicht wirklich gedacht bzw. wollte ich auch gar nicht daran denken. Durch unsere Mentoren haben wir allerdings schon mitbekommen, dass das Bundesministerium diskutiert uns zurück nach Deutschland zu holen🙁.
Montagnacht wurde also auch noch ein Brief von uns Freiwilligen an das Auswärtige Amt verfasst, in dem wir klarstellten, wie wichtig es für uns wäre gerade in so einer Situation das Land und die Gesellschaft vor Ort zu unterstützen.


Nach 2 schlaflosen Nächten kam dann Dienstag der Anruf meines Mentors, der meine Welt zum Einsturz brachte: Das Bundesministerium hat in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt entschieden alle weltwärts-Freiwilligen weltweit (unabhängig von der Corona-Situation im Land) verpflichtend zurückzuholen😢.
Der Grund: Es kann nicht sichergestellt werden, ob zu einem späteren Zeitpunkt noch Rückflüge verfügbar sind (Und leider Gottes hat das Ministerium damit auch Recht behalten - Wir wurden so ziemlich in letzter Sekunde aus dem Land geholt😕).
Ich hatte also keine andere Wahl und es war klar, dass ich in 4 Tagen in einem Flieger sitzen werde, der mich von einem Land mit weniger als 100 Infizierten in ein Land mit über 22000 Infizierten brachte. Irgendwie im ersten Moment total absurd und alles was ich empfand war Wut, Trauer und Überforderung. Für mich ist eine komplette Welt zusammengebrochen und hätte ich alle Tränen der letzten 2 Wochen aufgefangen, dann wären jetzt vermutlich alle Wasserprobleme Afrikas gelöst😢. Aber wir mussten die Situation akzeptieren und das Beste draus machen, also mieten Phillip und ich uns ein Auto und fuhren mit unserem besten Freund Thandu ein letztes Mal nach Kenton zum Strand, in den Addo und genossen einfach die letzten Tage mit unseren Freunden, bei denen wir keine Ahnung haben wann man sich wiedersieht🙁. Freitag mussten wir uns dann endgültig von Grahamstown und von der Arbeit verabschieden. Die 2 fetten Koffer wurden gepackt, ein letztes Mal ging es auf Arbeit zum Bye bye sagen und los ging es nach PE. Das Gefühl zu sehen, wie mein zu Hause im Rückspiegel immer kleiner wurde und ich nicht weiß, wann ich wiederkommen kann, war/ist einfach nur schrecklich😫. In PE nutzten wir dann die letzten 24 h in Südafrika nochmal voll aus: Sonnenuntergang mit allen Eastern Cape Freiwilligen und natürlich Corona (also das Bier – keine Sorge😉), Sonnenaufgang mit Delfinen am Meer, die letzte Freiheit genießen…

Samstag früh war es dann soweit: Abschied nehmen: Abschied von einem Land das mich begeistert, Abschied von meinem Mentor, Abschied von vielen Freunden und Abschied von einer Zeit, die unvergesslich bleiben wird. Und dann war er da: Der wohl bisher härteste Schritt (oder eher 3 Schritte) meines Lebens. 3 Flüge und 11 h Aufenthalt in London lagen vor mir und trotzdem war jedes Abheben eines Fliegers ein Stich ins Herz,  die Tränen waren nicht mehr aufzuhalten und ich sagte mindestens 50 Mal zu Lena „Lena? Ich kann da nicht einsteigen! Das geht nicht! “ (Sorry for that Lenski 😛). Ich wollte es einfach nicht wahrhaben und schaute alle 5 min an die Tafeln am Flughafen, ob die Flüge vielleicht nicht doch noch gestrichen werden. Tja, nichts war: Plötzlich sah ich da Düsseldorf unter mir mit all diesen schönen deutschen Wohnhäusern und suchte vergeblich das Township.

Und nach 32 h Reise stand ich dann auf einmal wieder in meinem Zimmer in Deutschland und habe nach wie vor einen Kultur- und Kälteschock der Extraklasse. Plötzlich hat man regelmäßig Strom und Wasser, eine Heizung im Haus, fährt auf der falschen Straßenseite Auto (so langsam habe ich den Dreh mit dem Rechtsverkehr und den Vorfahrtsregelungen aber wieder raus😉), hat einen Geschirrspüler… Aber irgendwie habe ich diesen Luxus nicht vermisst und vermisse jetzt eher meinen Spaza-Shop im Township und meine Esel vor der Haustür. Ich bin in Deutschland und stehe vor einer Zukunft mit lauter Fragezeichen: Wann kann ich meine Freunde und Familie endlich wiedersehen? Wird dieser Sommer überhaupt ansatzweise normal? (Eigentlich habe ich schon wieder tausende Pläne im Kopf: Konzerte, Festivals, Jobben, Reisen… Aber wer weiß, ob ich überhaupt irgendwas davon realisieren kann) Und wann kann ich wieder zurück nach Südafrika?😫

Trotz aller Wut und Trauer möchte ich hier aber eine ganz klare Botschaft vermitteln: Ich bin DANKBAR, unfassbar dankbar für die wohl intensivsten 6,5 Monate meines Lebens, für unvergessliche Erlebnisse, für wahre Freundschaften, für jeden Sonnenauf- und -untergang, den ich sehen durfte und für einen Ort am anderen Ende der Welt, den ich zu Hause nennen kann😀. Ich sollte dankbar dafür sein, dass ich die Chance hatte in diesen Flieger zu steigen. Einen Flieger, der mich nach Europa gebracht hat, wo ein stabiles Gesundheitssystem und Sicherheit auf mich warteten. Es ist nicht fair, dass gerade ich das Glück habe einen deutschen Pass in der Hand zu halten und Milliarden andere Menschen wohl mit einem riesigen Grinsen an meiner Stelle in diesen Flieger gestiegen wären🙁. Wir sollten uns viel öfter unserem sehr privilegierten Leben hier in Deutschland bewusst sein und uns nicht ständig über jede Kleinigkeit beschweren!

Wie geht es nun weiter?

Mein Freiwilligendienst ist für mich noch nicht beendet! Ich werde alles Mögliche dafür tun, um auch von hier aus meine Organisation zu unterstützen und habe bereits mit dem Homeoffice gestartet. Aktuell plane ich die restlichen Unterrichtsstunden für unsere 11. Klassen und auch wenn ich sehr froh bin noch Teil sein zu können, ist es ein verdammt komisches Gefühl, dass nicht mehr ich diejenige sein werde, die mit den Schülern interagiert und ihre Fortschritte sieht.😮
Des Weiteren werde ich auch meine Entsendeorganisation SAGE Net so gut wie möglich unterstützen, damit noch viele Jugendliche nach mir die Chance haben diese einmalige Erfahrung zu machen.

Ansonsten verfolge ich die aktuelle Situation in Südafrika jede Minute und bin ununterbrochen mit meinem besten Freund Thandu in Kontakt. Leider sieht die aktuelle Lage ganz und gar nicht aus: Südafrika befindet sich momentan im 21 Tage „Lockdown“ (totale Ausgangssperre), die Fallzahlen steigen exponentiell (aktuell: 1462 Infizierte und 5 Todesfälle und die Dunkelziffer wid extrem hoch vermutet). Ich hoffe einfach nur, dass die Lage durch den Lockdown vielleicht doch nicht so schnell eskaliert, wie aktuell überall vermutet wird. Es tut einfach nur verdammt weh zu sehen, wie sich die Lage dort immer mehr verschlechtert und ich nichts tun kann außer zu versuchen meinem Freund Thandu die Angst zu nehmen. Die Wirtschaft ist, wie überall, immer mehr am zusammen brechen, da Südafrika nun mal vom Tourismussektor abhängig ist, der natürlich gerade total wegfällt und auch unsere NGO’s (Nicht-Regierungs-Organisationen), für die wir arbeiten, bangen um ihre Existenz, da viele Geldgeber weg fallen. Das sowieso schon schwache Bildungssystem droht immer mehr abzurutschen. E-Learning gibt es nur an den extrem teuren Privatschulen. Der Großteil der Schüler (natürlich besonders in den Townshipschulen) hat zu Hause aber keinen Zugang zu digitalen Ressourcen geschweige denn dem Internet. Wie der versäumte Stoff jemals wieder aufgeholt werden soll steht aktuell noch in den Sternen. Und das Corona in einem Land, was von dramatischen HIV-Zahlen geprägt ist, viel mehr Schaden anrichten kann, ist auch offensichtlich. Ich hoffe einfach nur das Beste!

Ja und zu guter Letzt ist natürlich eines ganz klar: Ich komme wieder! Das war kein Ende, kein richtiger Abschied und so lasse ich das garantiert nicht stehen! Ich werde so schnell wie möglich wieder nach Südafrika fliegen. Wann das sein wird, ist bei der aktuellen Lage weltweit natürlich noch total unklar, aber bevor ich nicht noch einmal dagewesen bin kann und will ich mit diesem Jahr nicht abschließen!

Und jetzt bin ich in Deutschland und stehe vor einer total ungewissen Zukunft mit tausenden Fragen. Aktuell muss ich erstmal noch meine 2 Wochen Quarantäne absitzen bevor ich endlich mal wieder Freunde sehen kann und wenigstens mit dem Elbow-Check Hallo sagen kann. So habe ich mir meine Rückkehr garantiert auch nie vorgestellt, aber das ist das Leben: Voller Überraschungen und ich werde das Beste draus machen! 🙂

Bleibt gesund, lasst euch nicht unterkriegen und macht immer das Beste draus! Es kommen auch wieder bessere Zeiten!😉